mensch macht stadt

Ein Film über die kreativen Potentiale eines urbanen Nischenquartiers

Eine Sein im Schein Filmproduktion im Auftrag der Kulturetage Oldenburg und Stiftung Niedersachsen (Daniel Kunle & Holger Lauinger, 2011, 90 Min)

Das Bahnhofsviertel Oldenburg im Jahr 2010. Ein Quartier in Umbruch. Anlass für Einblicke und Reflektion: Die Stadt, ein Ort an dem Fremde sich nahe sind. Anwohner schildern ihre Sicht auf eine Lebenswelt zwischen Vergangenheit und einer Stadtplanung für die Zukunft. Die eigene Lebensrealität nur eine unter vielen. Die Stadt als ein Spiegelbild der Gesellschaft.

mensch macht stadt ist ein vielstimmiges Mosaik mit eindrücklichen Bildern. Erleben Sie einen Streifzug durch die überraschende Vielfalt eines städtischen Nischenquartiers zu der Frage: wer oder was macht Stadt eigentlich aus?

Oldenburger Lokalteil – Amon Tein

Die Berliner Filmemacher Holger Lauinger und Daniel Kunle haben mit „Mensch macht Stadt“ einen liebevollen Dokumentarfilm über das Oldenburger Bahnhofsviertel vorgelegt. Zwischen alten Strukturen und komplettem Neuanfang entspinnt sich eine unaufgeregte, kluge Reflektion zur Vergangenheit und Zukunft des Quartiers.

Es beginnt mit Schranken, den offensichtlichen Grenzen des Bahnhofsviertels am Hafen. Die Schranken senken sich, der Schaffner im vorbeifahrenden Zug kündigt in schlechtem Englisch das Ende der Reise an: Oldenburg in Oldenburg. Die Kamera schwebt unterdessen weit darüber, gibt den Blick frei auf das Bahnhofsviertel: durcheinander gewürfelte Architektur zwischen Hafen und Hauptbahnhof. In kaum einem anderen Viertel gab es in der Vergangenheit so viele einschneidende Veränderungen. Investoren kamen, alte Strukturen gingen verloren. Zurück bleibt ein Quartier, das nicht weiß, was es ist.
Hier setzen die beiden Berliner Filmemacher Holger Lauinger und Daniel Kunle an, die im Auftrag der Kulturetage einen Dokumentarfilm über das Viertel drehten. In ihrem anderthalbstündigen Werk geben sie dem Quartier und seinen Bewohnern ein Gesicht. Jeder lebt hier in seiner eigenen, kleinen Welt, und auch wenn alle diese Welten nebeneinander liegen, scheinen sie sich nur selten zu kreuzen. Zwar vermag keiner der Protagonisten zu beschreiben, was dieses „Quartier“ denn nun tatsächlich ist, doch jeder einzelne steckt im Verlaufe des Films ein kleines Stück der Landkarte ab. Jeder hat seine eigene Sichtweise, die Filmemacher halten sich zurück, beobachten und lassen geschehen. Die Welt, die sich damit zeichnet, kennt keine rechten Winkel. Es entsteht eine kluge, unauffällige Reflektion, gelenkt durch Lauinger und Kunle.

Kinderhüpfburg und Goldener Anker

Die beiden geben dem Viertel ein sympathisches Gesicht, verweben behutsam die verschiedenen Lebensentwürfe, zeigen Asylbewerber, Rockerbande, Autoschrauber und Banken-Vorstand. Jeder Lebensentwurf hat hier Platz. Auch der Soundtrack kommt aus dem Quartier, unter die Bilder mischen sich fordernd die Ska-Rhythmen der jungen Band Skalinka, die in einem dunklen Keller im Viertel probt. Die Klänge der Elektrotüftler von Anda schweben über dunklen Nachtbildern und hellen Reklametafeln. Humorvoll und mit Liebe zu ihren Figuren montieren die Regisseure die Welten aneinander, die Kinderhüpfburg vor dem Club der Red Devils, die fröhliche afrikanische Hochzeit in der Kaiserstraße, der geläuterte Drogenabhängige in der kleinen Kirche in der oberen Etage.
Hier passt nichts zusammen, und doch scheint es untrennbar verwoben. Sylvia Stanek, Wirtin des „Goldenen Anker“, sucht lange nach Erklärungen, wie sie hierher gekommen ist, warum sie überhaupt noch hier ist. Sie ist die letzte, die eine Konzession für den Betrieb eines Bordells an diesem Ort hat. Es gibt immer wieder Probleme, aber sie wird wohl bleiben. Im Hintergrund läuft Ballermann-Musik, sie steht verschmitzt am Tresen und sagt: „Es ist doch so: Keiner will den Anker haben, aber jeder benutzt ihn.“ Von dieser liebenswerten Vielfalt scheinen die Planer der künftigen „Hafencity“ nichts zu wissen, und wenn, dann enttarnen sie sich selbst. Sie sprechen vom architektonischen „Reiz der Flucht“ und davon, dass schon viel bewegt wurde. Die drei hochzufriedenen Männer in Anzügen freuen sich mechanisch, dass die Entwicklung dieser „unberührten, verwahrlosten Ecke“ nun in „die richtige Richtung geht“. Die fragile Identität des Viertels droht hier in Marketing-Phrasen verloren zu gehen.

Abschied von der Vielfalt?

Dieser Leere entgegen stellen die Filmemacher den unbändigen Willen und die Kreativität der Viertelbewohner. Die kreative Klasse in direkter Nachbarschaft der Gutbetuchten im künftigen Wohngebiet am Hafen, das mag den Planern und Investoren gefallen, bei den Viertelbewohnern jedoch zeichnet sich mancherorts ein Bild der Melancholie. Wenn im Film immer wieder die kleine Helikopter-Kamera über dem Viertel schwebt, klingt in den Worten der Protagonisten die Unsicherheit über den Verlust der gewachsenen Strukturen mit. Es wird keinen schöneren Platz als diesen für die Wagenburg geben, ahnen seine Bewohner. Die gewollte Aufwertung des Viertels könnte ein Abschied von der lebendigen Vielfalt des Quartiers sein. Vielleicht ist aber auch nur ein neuer Anfang, der die vielen kleinen Welten näher zusammen bringt. Der Stadtsoziologe Walter Siebel zumindest beschwört im Film die urbane Stadt; mit Schmuddelecken, unkontrollierte Räumen und lebenswichtigen Spannungen. Wenn man das bereinigt, sagt er, eine Stadt klinisch sauber macht, dann werde sie langweilig. „Urbanität ist aufgespannt zwischen den beiden Archetypen europäischer Städte, nämlich Jerusalem und Babel. Eine Stadt muss beides haben, nicht nur eines. In Babylon stirbt man an der Sünde und in Jerusalem an der Langeweile.“

taz Kennste eins, kennste alle? Bahnhofsviertel haben so ihren eigenen Charme, der sich für Stadtentwickler und Politiker nicht immer erschließt. Ist ja auch klar: Was zum Beispiel Kreative an einem Quartier schätzen, ist anderen Menschen ein Dorn im Auge. Billige Mieten zum Beispiel. Gegenden müssen ja immer aufgewertet werden.
Dem Oldenburger Bahnhofsviertel steht das nun bevor. Der Film „mensch macht stadt“ beschäftigt sich mit diesem Umbruch, 35 Menschen erzählen, was sie über das Viertel denken, dessen Vergangenheit und die geplante Zukunft. Dabei dürften nicht nur Nicht-Oldenburger über die Vielfalt staunen, die sich in den Nischen des Quartiers, zwischen Rotlicht und Hafen entwickelt hat.